"Wir können doch nicht ganz Afrika aufnehmen". Wo immer es um
Asylsuchende geht, fallen solche Sätze - Sätze, die auf absoluter
Ahnungslosigkeit und oft auf rassistischen Vorurteilen gründen. Aber was
entgegnen, wenn der Nachbar so daherredet? Eine Übersicht über die
häufigsten Vorurteile - und eine angemessene Entgegnung:
#01 Ahnungslose wissen: »Wir können doch nicht die ganze Welt aufnehmen«
Richtig ist:
Davon sind wir Lichtjahre entfernt.
Auf der Welt sind Ende 2013 laut UNHCR Global Trends 51 Millionen Menschen auf der Flucht.
86 Prozent der Flüchtlinge weltweit leben in Entwicklungsländern.
Die allerwenigsten Flüchtlinge schaffen es nach Europa -
weil sie in der Region bleiben wollen und auf baldige Rückkehrchancen hoffen,
oder weil sie schlicht keine Möglichkeit haben, hierherzukommen.
Legale Wege nach Europa gibt es für Flüchtlinge so gut wie nicht.
Beispiel 2013: Knapp elf Millionen Menschen wurden in diesem Jahr aus ihrer Heimat
vertrieben. Wie viele kamen 2013 als Asylsuchende in Europa an?
484.500 Menschen, verteilt auf 38 europäische Staaten. Das entspricht
nicht einmal fünf Prozent. Also bitte: Wer kann behaupten, wir stünden vor der Frage, die ganze
Welt aufzunehmen?
#03 Panikmacher wissen:
»Die kommen alle nach Deutschland«
Richtig ist:
In der EU liegt Deutschland mit seinen Asylzahlen im Mittelfeld.
Hierzulande glauben viele, alle Flüchtlinge wollten unbedingt nach
Deutschland. Und tatsächlich: Im EU-Vergleich zeigt sich, dass
Deutschland zahlenmäßig die meisten Asylanträge erhält. Das vermittelt
allerdings ein trügerisches Bild: Berücksichtigt man die Einwohnerzahl,
dann liegt Deutschland seit Jahren europaweit im Mittelfeld. Mit 16 Asylanträgen pro 10.000 Einwohner
lag Deutschland 2013 auf Platz neun der EU-Staaten.
Allerdings sagt der Vergleich der Asylzahlen innerhalb Europas noch
nicht zwangsläufig etwas über die Zahl der Flüchtlinge aus:
Beispielsweise werden in Griechenland immer noch tausende Flüchtlinge
einfach als Illegale inhaftiert. Weil sie dort keine Chance erhalten,
ihren Asylantrag zu stellen, werden sie auch nicht als Asylsuchende
gezählt. Tatsächlich dürften die Asylzahlen einiger Länder im Süden
Europas also höher sein als angegeben.
Übrigens: die Länder, die im weltweiten Vergleich aktuell die meisten
Flüchtlinge beherbergen, heißen Pakistan, Libanon, Jordanien, Iran,
Türkei.
#04 Einfältige sind überzeugt: »Die meisten sind nur Wirtschaftsflüchtlinge«
Richtig ist:
Die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben, wiegen schwer.
Niemand setzt sich leichtfertig nachts in ein marodes Boot, wissend,
dass der Tod droht. Niemand setzt alles aufs Spiel, lässt alles los –
die Heimat, Besitz, Familienangehörige, vielleicht sogar Kinder – und
das alles nur in der Hoffnung auf den Bezug von Sozialleistungen. Wer
Asyl sucht, kämpft oft ums Überleben. Weil im Herkunftsland Krieg
herrscht, Verfolgung droht, Diskriminierung an der Tagesordnung oder die
eigene Existenz permanent in Gefahr ist.
Mit Abstand die größte Gruppe unter den Asylsuchenden in Deutschland
sind derzeit Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg (rund 12.900
Anträge im ersten Halbjahr 2014).
Danach folgen Flüchtlinge, die als Roma in Serbien (9.400 Anträge) und
anderen Balkan-Staaten existenzieller Not und vielfältiger
Diskriminierung ausgesetzt sind. Dazu mehr unter #5 "Politiker
predigen: »Roma haben es nur auf unsere Sozialleistungen abgesehen«"
Eine steigende Zahl von Asylsuchenden kommt aus Afghanistan (4.500), wo
Anschläge, Verfolgung und Machtkämpfe mehr zivile Opfer fordern denn je.
An vierter Stelle der Herkunftsländer steht die Militärdiktatur Eritrea
(4.00), die tausende Menschen ohne Anklage und ohne Kontakt zur
Außenwelt an unbekannten Orten im Gefängnis verschwinden lässt.
#05 Politiker predigen:
»Roma haben es nur auf unsere Sozialleistungen abgesehen«
Richtig ist:
Populisten machen Stimmung gegen Roma.
Bei Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien handelt es sich
überwiegend um Roma. Dass diese Flüchtlinge arm sind, ist den
meisten Menschen bekannt. Weniger klar ist, wie groß ihre Not
ist und welche Ursachen das hat. Die zentrale Antwort ist:
Wie keine andere Gruppe in Europa werden Roma von vielen in der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt und benachteiligt,
von manchen sogar attackiert.
Die EU-Kommission hat festgestellt, dass Roma in allen Balkanstaaten einer Rundum-Diskriminierung ausgesetzt sind,
die sie daran hindert, ein normales Leben zu führen: Sie erhalten keinen Zugang zu Wohnungen und leben deshalb in Slums,
oft sogar ohne Strom und Heizung. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, zu Arbeit, zu Gesundheitsversorgung.
Nach Angaben der serbischen Regierung haben 30 Prozent der Roma in Serbien kein sauberes Trinkwasser,
70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Laut UNICEF haben Roma-Kinder eine um ein Drittel geringere Chance,
das erste Lebensjahr zu erreichen, als andere Kinder. Immer wieder werden Roma Opfer rassistischer Gewalt.
Seit 2012 wird asylsuchenden Roma von einigen Politikern öffentlich Asylmissbrauch unterstellt.
Die Betroffenen werden in Asyl-Schnellverfahren abgelehnt, die nicht den Standards entsprechen
und bei denen das Ergebnis der Ablehnung von vornherein festzustehen scheint.
In der deutschen Öffentlichkeit gilt eine Asyl-Anerkennungsquote nahe Null wiederum als Beleg dafür,
dass Roma nur der Sozialleistungen wegen kommen.
Statt die Diskriminierung der Roma in ihren Herkunftsstaaten
angemessen zu berücksichtigen, wird diese in Deutschland
durch fragwürdige Asylverfahren fortgesetzt. Durch die asylrechtliche Einstufung von Serbien,
Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ will die Bundesregierung die individuellen Asylgründe
von Roma künftig regelmäßig gar nicht erst prüfen (mehr dazu hier).
So werden die Vorurteile gegen Roma hierzulande einmal mehr verstärkt.
Inzwischen sollen auch Montenegro und Albanien zu "sicheren
Herkunftsländern" erklärt werden - doch auch diese Staaten sind für Roma
keineswegs sicher.
#09 Hetzer behaupten:
»Asylbewerber sind gefährlich, kriminell und unordentlich«
Richtig ist:
Flüchtlinge sind so verschieden wie Menschen eben sind
Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Es gibt keine Hinweise darauf,
dass Flüchtlinge öfter straffällig werden als andere Menschen. Auch
nicht, dass Menschen nichtdeutscher Herkunft krimineller sind als die
Durchschnittsbevölkerung.
Gern wird versucht, das Gegenteil mit der Polizeistatistik zu
untermauern. Das ist aber irreführend. Denn die Polizeistatistik erfasst
Tatverdächtige,
nicht TäterInnen. Daraus kann man lediglich schließen, dass „Ausländer“
häufiger unter Verdacht geraten und polizeilich kontrolliert oder
angezeigt werden. Beispiel NSU-Morde: Zehn Jahre lang wurden die
türkischen oder griechischen Angehörigen der Opfer von der Polizei als
mutmaßliche TäterInnen behandelt, während tatsächlich deutsche Rassisten
die Täter waren.
Das Bundeskriminalamt selbst nennt Gründe, wegen der „ein Vergleich der
tatsächlichen Kriminalitätsbelastung der nichtdeutschen Wohnbevölkerung
mit der deutschen ... nicht möglich“ ist. Etwa weil viele Täter „im
Dunkelfeld“ gar nicht ermittelt werden. Oder weil eine Reihe von
Straftaten - z.B. Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz - von deutschen
Staatsangehörigen gar nicht begangen werden können. Die Polizei in
Bremen und Berlin sah sich aufgrund der kursierenden Vorurteile
tatsächlich veranlasst, eigens darauf hinzuweisen, dass es im Umfeld der
örtlichen Asylunterkunft keine erhöhte Kriminalitätsrate gibt.
Tatsächlich verhindern vor allem Vorurteile, Misstrauen und mangelnde
Kommunikation, dass Menschen in ihrem Stadtteil ein Gefühl von
Sicherheit und Ordnung haben.„Wo jeder jeden kennt“, fühlt man sich
wohl. Verunsicherten Nachbarn ist zu raten: lernen sie die Menschen
kennen, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen. Sie werden feststellen,
dass Ihre Ängste auf Vorverurteilungen beruhen. Denn Flüchtlinge sind
schlicht so verschieden wie Menschen es eben sind.
#14 Engherzige denken:
»Wir sollten uns lieber um unsere eigenen Armen kümmern.«
Richtig ist:
Das Problem der Armen ist die ungleiche Verteilung des Wohlstands.
Sind Flüchtlinge arbeitslos, klagen viele über die Sozialhilfekosten,
die man ja irgendwie mitbezahle. Sind sie es nicht, fürchten
sie die Konkurrenz um Arbeitsplätze. Dabei ist die Angst,
dass Flüchtlinge der Wohnbevölkerung die Arbeitsplätze wegnähmen,
unbegründet: Forscher, die den Zusammenhang von
Zuwanderung und lokaler Arbeitslosigkeit untersucht haben,
fanden keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkterfolg von
Einheimischen.
Auch die Rechnung, dass die Versorgung von Flüchtlingen Arme
noch ärmer mache, geht nicht auf: Kämen tatsächlich weniger
Flüchtlinge, bekäme ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger nicht
einen Cent mehr, geringe Löhne würden deshalb nicht steigen,
und Mittelständler hätten nicht weniger Angst vor dem sozialen
Absturz. Hinter diesen Sorgen steht nämlich ein anderes Problem: die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich.
Im Grundgesetz heißt es in Artikel 14: „Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Geld ist genug da – würde es zum Nutzen aller Menschen in
Deutschland gerechter verteilt, könnten alle angstfrei und menschenwürdig
leben. Hier hätten in der Tat viele einen Grund,
sich zu beschweren – aber nicht ausgerechnet über Flüchtlinge,
die Schwächsten, die diese Zustände am allerwenigsten beeinflussen.
Vollständige Liste der Voruteile und die passende Antwort dazu hier: